Heute möchte ich diesem Thema mal eine besondere Beachtung schenken, da ich durch eine Teilnehmerin meines letzten Kräuterworkshops dazu inspiriert wurde. Denn ihr Feedback nach dem Wochenende war, dass sie ihre Pferdeweide jetzt mit ganz anderen Augen sieht.
Was ist Beobachtung und wozu soll sie gut sein?
Im Wesentlichen geht es um die objektive, systematische, zielgerichtete und aufmerksame Wahrnehmung von Vorgängen bzw. eines Verhaltens zum Zeitpunkt des Geschehens und deren Auswertung. Sie unterscheidet sich von der alltäglichen, beiläufigen Beobachtung, welche nicht zielgerichtet ist.
Diese Definition ist mir aus Ausbildungszeiten noch mehr als bekannt und für mich hatte sie eine abschreckende Wirkung. In den zahlreichen Hausarbeiten, methodischen Übungen und der großen Abschlussarbeit war sie wesentliche Grundlage. In meiner späteren Arbeit fiel es mir weiterhin schwer, mich einer gezielten Beobachtung objektiv zu widmen.
Der Funke ist erst viele Jahre später übergesprungen.
Nämlich 2017, als ich anfing meine Ponys und Ziegen zielgerichtet dabei zu beobachten, was sie essen, wie sie interagieren, sich bewegen und verhalten. Anlass waren sich ausbreitende, gesundheitliche Probleme, die in einem großen Hufreheschub meines Minishetlandponys mündeten, obwohl ich penibel darauf achtete, alle gängigen Maßnahmen, um dies zu verhindern einzuhalten (Heu mit max. 3 Std Fresspausen rationieren, Heunetze, keine Leckerchen, Heu abwiegen und wässern, Fressbremse und Minutenprotokoll beim Grasen, usw.). Ich fing an, mich zu belesen und mit der Materie alternativ zu beschäftigen. Glücklicherweise erhielt ich die Möglichkeit, meine Tiere für einen Sommer auf ein 2,5 ha großes Stück Weideland mit kräuterreichen Wiesen und Wäldchen zu stellen. Weitere Inspiration war ein Buch namens „Artgerechte Pferdefütterung“ von M. Vogt. In diesem Buch ging es um ganzheitliche Zusammenhänge zwischen anatomischen Bedingungen, Nahrungsvielfalt und psychischer Gesundheit. Zum ersten Mal erfuhr ich etwas über die Funktionsweise der Hufe und das breite Nahrungsspektrum von Pferden, welches keinesfalls der gängigen Lehrmeinung entsprach.
Im Rahmen einer privaten Kräuterstudie, an der ich teilnehmen wollte, sprang der Funke über und plötzlich ging alles wie von selbst. Der Schlüssel waren Interesse und Begeisterung. 10 jahreszeitlich angepasste Kräuter stellte ich den Ponys zur freien Aufnahme zur Verfügung und ich fing an zu dokumentieren, was sie wann gegessen hatten. Ein einfaches Ankreuzverfahren „gar nichts – wenig – viel“ reichte dafür völlig aus. Die Ponys erhielten zudem eine Mineralbar, nach und nach bot ich auch mal etwas Obst oder Gemüse an. Die Dokumentation wurde immer umfangreicher und ich konnte schon bald erkennen, dass nicht alle Ponys alles gleich machen oder zu sich nehmen. Automatisch ergab es sich, dass ich genauer hinschaute, was sie auf der Weide aßen und ich fing an wahrzunehmen, dass sie im Herbst Wurzeln ausgraben, an bestimmten Stelle Erde aßen und auch, dass sie Dinge aßen, vor denen klassische Pferdehalter Angst haben, wie bspw. Eicheln. Wenn ich eine Pflanze nicht kannte, fand ich heraus um was es sich handelte. Wir fingen an die etablierten Wanderungen zu einer gemeinsamen Futtersuche umzumodeln. Das musste ich den Ponys erstmal neu beibringen. Denn die Futtersuche war meinerseits immer verboten, weil ich das gleichsetzte mit „unerzogenem Pony“.
Zeitgleich konnte ich feststellen, dass es insbesondere den gesundheitlich angekratzten Ponys deutlich besser ging. Körperlich als auch psychisch. Es schien als käme der Stoffwechsel richtig in Gang, so stellte ich fest, dass die Haut entgiftet, die Hufe schneller wachsen und der Heuverbrauch schwankte, die psychische Verfassung erhellte sich.
Bis zu jenem Sommer waren die Ponys als Therapieponys im Einsatz und wurden teilweise auch regelmäßig geritten oder gefahren. Dieses Angebot stellte ich ein. Denn allmählich fing sich meine Wahrnehmung an zu verändern und ich konnte auch deutlich erkennen, dass das Reiten körperliche Spuren hinterlassen hat. Mit diesem neuen Blick konnte ich nicht mehr darüber hinwegsehen, dass meine Stute bspw. eine Trageerschöpfung hat (so habe ich sie letztendlich schon bekommen, nur konnte ich das damals gar nicht sehen) und die Kinder zwar gewissenhaft trug, jedoch war es eher ein „Ertragen“. Ich betrachtete Fotos von früher und konnte sie mit diesem neuen Blick anders auswerten.
Je präziser die Beobachtung, je mehr Erkenntnisse konnte ich sammeln. Anhand meiner Daten konnte ich feststellen, dass sich die Futteraufnahme von Pflanzen jahreszeitlich wiederholt, dass einige Ponys manchmal gezielt ganz viel von etwas aßen, was dann plötzlich abrupt wieder aufhörte. Z.B. isst meine Stute jedes Jahr im Mai ganz viele Himbeerblätter. Zu dieser Zeit wird sie eigentlich auch immer rossig und das besonders ausgeprägt. Von mir angedachte Interventionen funktionierten nicht und die sonst so ruhige Stute preschte in dieser Zeit gerne mal durch den Zaun, wenn ein Wallach der Begierde vorbeikam. Das ist seit 2018 weg. Diese Probleme haben wir nicht mehr. Himbeerblätter regulieren den Hormonhaushalt. Spannend, oder?
Ich etablierte diese Beobachtungen seither über Jahre und fing an, mein Wissen durch einen Hufkurs, die Kenntnisse aus der Bewegungsosteopathie, eine große Weiterbildung in Sachen Pflanzenkunde, usw. zu erweitern.
Nach und nach fügten sich alle Puzzleteile zu einem großen Ganzen zusammen. Daraus entstand mein heutiges Konzept. Die Beobachtung von sich selbst oder seinen Tieren / Kindern / Pflanzen / usw. ist mittlerweile in fast allen Angeboten eine wesentliche Grundlage.
Wozu ist sie also gut und was bedeutet Objektivität?
Es geht um die wertfreie Wahrnehmung dessen, was ist. Das Spannende ist, dass du mit jedem Versuch mehr wahrnehmen wirst. Deine Sinne verfeinern sich und du wirst dabei immer detailreicher. Wie oben dargelegt, sind deine gesammelten „Daten“ die Grundlage für weitere Erkenntnisse, also die Auswertung und mögliche Rückschlüsse. Auch hier wirst du dich selbst stetig weiterentwickeln und immer mehr daraus schließen können.
Hürden und Widrigkeiten
In der Objektivität finden sich wohl die meisten Hürden. Der Mensch neigt dazu, in Bruchteilen von Sekunden was er wahrnimmt zu bewerten und kategorisieren. Dabei knüpft er an Erfahrungen, gängige Werte und Normen oder das geprägte Weltbild an. Besonders Ängste und Unsicherheiten beeinflussen diese Bewertung. Das Gehirn und die Psyche haben sofort eine genaue Vorstellung davon, wie etwas zu sein hat. In einer objektiven Beobachtung geht es aber rein um die sachliche Aufnahme dessen, was ist. „Das Pferd isst Brombeerblätter.“ Nicht mehr oder weniger. Nicht um die Frage „Ist es möglicherweise krank?“ oder Ähnliches.
Deshalb muss Beobachtung geübt werden und es bedarf einer gewissen Bereitschaft dazu. Eine gute Beobachtungsgabe zu entwickeln, geht also mit einer Persönlichkeitsentwicklung einher. Denn ohne die Fähigkeit aus seiner gängigen Wahrnehmungsweise herauszutreten, ist eine sachliche Beobachtung nicht möglich.
Dies ist auch die Grundlage für eine Auswertung. Wie will ich die Daten sonst in Relation setzen, wenn ich ein bewertendes, vorgeprägtes Meinungsbild habe?
Deshalb ist der Schwerpunkt meiner Workshops und Coachings das, wovor man Angst hat, kennenzulernen. Die Pflanzen zu betrachten, etwas über sie zu erfahren, für erste Beobachtungen stelle ich auch meine eigenen Ponys gerne zur Verfügung. Es fällt vielen leichter, wenn es sich noch nicht um das eigene Pferd handelt.
Der Prozess an sich passiert aber in jedem einzelnen selbst. Du erlangst nicht nur Wissen, sondern auch Handlungskompetenzen. Deine Beziehung zu dir selbst, deinem Pferd und der Natur wird sich verändern. Vielleicht bleibt dir die ein oder andere Tierarztkonsultation erspart, weil es erst gar nicht zur Ausprägung von Symptomen kommt oder du sie selbst beheben kannst, weil du bis zur Ursache vordringst.
Möchtest du mehr darüber erfahren? Dann schau dich in meinen Angeboten um, ob etwas Passendes für dich dabei ist.
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