Ende Februar 2020 bin ich wieder in die Tätigkeit der Schulbegleiterin eingestiegen und begleite dort einen Jungen der aktuell 3. Klasse im Autismusspektrum.
Kurze Zeit später war Deutschland im „Lockdown“. Die neuartige Zeit musste erstmal etwas verarbeitet werden und ich entwickelte die Idee, wie es wohl wäre das „Homeschooling“ pferdegestützt zu betreiben. Immerhin ist mein Flummi als ausgebildetes Therapiepony seit geraumer Zeit „arbeitslos“ gewesen und im Laufe der Zeit habe ich meine Sichtweise auf diese Arbeit auch gänzlich verändert. Ich biete schon lange kein klassisches, tiergestütztes therapeutisches oder pädagogisches Angebot mehr an, in dem „das Medium Pferd“ einzig den für den Klienten / das Kind vereinbarten Zielen dienlich ist. Mein Ansatz ist die Beziehungsarbeit auf Basis des freien Willens. Hierbei geht es darum, dass der Raum der Begegnung zwischen Mensch und Tier von authentischer Interaktion gefüllt ist.
Tiere spiegeln den Menschen heißt es immer wieder, doch genau dieses Spiegelbild will dann oft nicht gesehen werden. Nämlich dann, wenn sich z.B. seelischer Schmerz zeigt, der durch das Verhalten des Tieres ausgelöst wird (durch Abwenden z.B.).
Manchmal bieten Tiere auch freiwillig an, dass der Mensch etwas loswerden oder sich anlehnen kann. Hier konnte ich jedoch eindeutig einen Unterschied wahrnehmen in der Art und Weise. Ist das Tier zugewandt und bietet sich an, z.B. in dem es den Kopf randrückt, oder sich so hinstellt, dass es zum Streicheln einlädt, ist das eine ganz andere Qualität, als wenn das Tier „geparkt“ wird, der Klient das Pferd z.B. „umfasst“ und man am Ohrenspiel ein deutliches Unwohlsein vermerkt.
Meines Erachtens sollte diese Aufgabe nicht pauschal von den Tieren gefordert werden, nur damit der Mensch sich gut fühlt. Gerade Pferde neigen dazu, alles aufzusaugen und auszuhalten, was den Anschein erweckt, dass man „mit ihm/ihr alles machen kann.“. Das sind dann nicht selten genau DIE Pferde, die sich schon dissoziiert haben. Viele Pferde in dem Bereich haben, neben psychischen, auch massiven körperlichen Einbußen zu tragen und sind nach einigen Jahren im wahrsten Sinne des Wortes „durch mit der Schicht“.
Eine faire Begegnung ist für mich in dem Fall, dass das Pferd als wertvoller Mitarbeiter gesehen und auch als solcher geachtet wird.
Hier entsteht der Raum einer „echten (authentischen) Begegnung“. So habe ich es im pferdegestützten Homeschooling auch erlebt.
Wir haben also unseren Tagesplan mit allen Aufgaben in das „Ponyreich“ verlegt und uns im Schatten eines Holunders alles zurechtgelegt. Die Ponys liefen umher und gingen ihrem Tagwerk nach. Grasen, Kräuter suchen, Heu essen, trinken, dösen, usw…
Von Natur aus neugierig kam Flummi recht schnell zu uns und wollte erstmal alle Taschen durchwühlen. Das wurde ihm nicht erlaubt, auf eine gute Erziehung wird hier schon geachtet. Also stand er einfach da und schaute sich an, was wir machen. Er schnupperte aus etwas Entfernung an dem Schulkind und es machte den Eindruck, als schaue er ihm beim Schreiben über die Schulter. Bei der unliebsamen Aufgabe „Lesen“ kam erstmals Flummis gezielter Einsatz. Das Schulkind fing an, dem Pony vorzulesen und es war einfach ein passender, wertvoller Moment, weil Flummi aufmerksam zuzuhören schien.
Das war ein besonderes Erfolgserlebnis für das Kind, welches in seinem Selbstvertrauen eher unsicher ist und sich selbst immer nieder macht. Darüber hinaus kam der Junge in den Genuss einer sozialen Interaktion und fühlte sich durch das Pony wertgeschätzt, sehr interessant, weil er das zumeist seitens der Menschen nicht so empfindet, auch wenn diese z.B. loben.
Der Junge wollte es nun zu einem täglichen Ritual machen, dem Pony vorzulesen. Da er die Welt in seinem Autismusspektrum wahrnimmt ist seine Lernaufgabe, dass auch der „beste Plan“ Variablen, also eine gewisse Flexibilität, aufweisen muss. Wenn es nach ihm ginge, wäre seine Lieblingssituation, dass alles in seinem Leben vorhersehbar geplant und so gestaltet ist, dass hauptsächlich seine Wünsche und Vorstellungen erfüllt werden.
Das Leben zeigt uns aber, dass diese Vorstellung unrealistisch und selbst bei größter Bemühung aller Beteiligten nicht umsetzbar ist. Warum? Es kommen die Bedürfnisse anderer Menschen hinzu und äußere Umstände, die wir nicht beeinflussen können.
Eine grandiose Lernsituation.
Denn: Ob das Pony sich erneut dazu gesellt, ist eine unvorhersehbare Angelegenheit. Bei entsprechender Interaktion jedoch nicht unmöglich. Was kann das Kind hier lernen? Dass es seine Wünsche umsetzen kann, wenn es dabei die Bedürfnisse des Gegenübers berücksichtigt und darauf eingeht.
Es ergab sich also die Lesesituation und das Pony stand diesmal beim Schreiben die ganze Zeit mit am Tisch und döste. Danach wollte es woanders hingehen. Das sorgte erst einmal für einen Wutanfall seitens des Kindes. Woraufhin sich das Pony eindeutig entfernte. Nach einer längeren Pause, in der ich das Kind nonverbal begleitete und das Pony beobachtete sagte ich: „Schau mal, Flummi ist beim Heu essen an der Hängematte. Komm, wir setzen uns dazu. Nimm dein Buch mit.“
Bei der Ansprache habe ich darauf geachtet auf Informationsebene und direktiv zu sprechen. Also:
„Flummi ist beim Heu essen an der Hängematte.“ (Information)
„Komm, wir setzen uns dazu.“ (direktive Ansprache, Aufforderung, klare Aussage)
„Nimm dein Buch mit!“ (direktive Aufforderung, klare Aussage, keine Interpretationsmöglichkeit)
Wieso? In der Kommunikation versuche ich herauszufinden, worauf die Persönlichkeit von jemandem basiert und wie somit der bevorzugte Kommunikationskanal sein könnte. In diesem Fall hat das Kind einen klaren Logiker- als auch hohen Träumeranteil. Das bedeutet, dass es gerne Struktur hat, Pläne, Abfolgen, Listen zum Abhaken und hierbei die Information aufsaugt. Der „Träumer“ hingegen verliert sich gerne mal in der Ausführung der Aufgaben, weil er bei einem bestimmten Stichwort anfängt über etwas anderes nachzudenken und dann nicht mehr weiß, was er tun soll. Beide Anteile mögen die „Datenverarbeitungsschiene“ und haben somit eine Gemeinsamkeit. Eine direktive Ansprache in Form von kurzen, knappen Sätzen mit Aufforderungscharakter hilft somit die Struktur wieder zu finden.
Nun wieder zum Pony und der Hängematte.
Wir setzten uns also dazu und beobachteten das Pony etwas beim Heu essen, das „Essgeräusch“ wirkte entspannend auf das Kind und es konnte sich wieder seiner Aufgabe widmen. Dem Lesen.
Er begann vorzulesen und achtete dabei auf eine klare Aussprache. Seine ruhige Art hatte zur Folge, dass am Ende alle vier Ponys vor der Hängematte standen und „zuhörten“. Was für ein Erfolgserlebnis. Die Motivation seitens des Kindes war, dass es gerne wollte, dass das Pony zuhört. Deshalb wollte er ein gutes Ergebnis abliefern. Dies erreichte er indem er konzentriert und strukturiert bei der Sache blieb und dadurch eine „Ordnung und Ruhe“ ausstrahlte, die ihm sonst im Leben schwerfällt. Da seine „Reizoffenheit“ oft im Wege steht. Hier gilt es alle Sinne zu sortieren und zu zentrieren.
Die Anerkennung der Leistung ist ein psychisches Bedürfnis des Logikers und dies konnte in vollem Umfang erfüllt werden. „Du hast richtig gut gelesen. Du hast die Reihenfolge sehr gut beachtet. Das war ein richtig gutes Leseergebnis. Das finden auch die Ponys.“
Dies war sehr anstrengend für das Kind, wenngleich auch positiv, so dass es eine längerer Ruhephase brauchte. Diese verbrachte es in der Hängematte in Gesellschaft der Heu essenden Ponys.
Hier wurden Lerninhalte in Verbindung mit persönlicher Förderung und authentischer Interaktion kombiniert.
Wir haben das Ganze über den Sommer hin ausgeweitet und Bewegungsspiele, Rechen- und Buchstabierspiele, motorische Übungen, uvm . eingebaut.
Davon berichte ich ein anderes Mal.